Das nackte Stadttheater
Text im Theater der Zeit Heft zur Intendanz Anna Badora
Schauspielhaus Graz Dezember 2014
1. Das Korsett.
Der Weg von der Idee bis zur Realisierung eines Bühnenbildes in der Struktur eines Stadttheaters führt durch einen engen finanziellen Flaschenhals. Der frei verfügbare Etat für das Bühnenbild beträgt in der Regel nur ein Drittel der tatsächlichen Kosten die von der Theaterleitung dafür budgetiert sind. Die restlichen zwei Drittel sind fest gebunden in den Personalkosten der Werkstatt.
Dieses Modell übergibt den Technischen Direktoren und Werkstattleitenden die Verantwortung, mit jeder Umsetzung eines Bühnenbilds die fest beschäftigten Schreiner, Schlosserinnen, Maler, Kascheure und Dekorateurinnen so auszulasten, dass kein Leerlauf oder etwa Überstunden entstehen. Bühnenbildideen, die neue Materialien oder Technologien erfordern, stoßen dann oft an die bekannten Grenzen „zu teuer“ oder „nicht genug Zeit“.
2. Die Befreiung.
Das Schauspielhaus Graz am äußersten Rand des deutschen Sprachraums aber zu seinem Glück im theaterverrückten Österreich gelegen hat vor einigen Jahren die organisatorische und finanzielle Trennung von Werkstatt und Theater vollzogen. Die Anfertigung der Kostüme und Bühnenbilder wird heute ausgeschrieben und neben den ehemaligen eigenen Werkstätten, die sich jetzt Art+Event Theaterservice Graz nennen, können freie, sogar international Werkstätten beauftragt werden.
3. Angst vor Neuem.
Aber ist ein Theater ohne eigene Werkstätten nicht ein nacktes Theater entblößt seiner ureigenen Kräfte? Der direkte Weg in die Werkstatt ist abgeschnitten, Flexibilität wird dem Effizienzgedanken geopfert! Die gute alte Manufaktur versprach doch: Wir können seit der Erfindung des Barocktheaters mit seiner Kulissenmalerei in unserer Werkstatt die Welt nachbauen, nachmalen, nachahmen. Jetzt soll diese warme wohlige Welt der Kälte des Kommerzes weichen? Der billigste Anbieter bekommt den Zuschlag, endgültiges Aus für die Kunst!
4. Frischer Wind.
Erst bei genauem Hinhören wird der grundlegende Unterschied des Grazer Modells sichtbar. Den eingeladenen Künstlern wird bei den Vertragsgesprächen die Gesamtsumme genannt welche ihnen in Graz für ein Bühnenbild zur Verfügung steht. Eine ungewohnt große Summe für das kleine Theater. Die Festschreibung auf zwei Drittel Personal-, ein Drittel Materialkosten ist aufgehoben. Den Künstlern ist damit freigestellt, über die gesamte Summe zu verfügen und Bühnenbilder zu entwerfen, die sich nicht in das Raster von Stahlprofilen und Sperrholzwänden fügen. Es muss plötzlich kein Handwerker mehr beschäftigt werden, der fest auf der Gehaltsliste des Theaters steht. Es gibt keine Schreinerei mehr, die nach Holzbühnenbildern schreit, damit sie ausgelastet ist. Jetzt geht es nur noch um die Kunst.
5. Herausforderung.
Aber dieses Modell braucht die Auseinandersetzung über eine neue Theaterästhetik. Ein Umdenken und Weiterdenken von Regie, Dramaturgie und Bühnenbild ist gefordert. Dieser Prozess dauert an und könnte in Graz noch stärker gefördert werden. Neue Regieteams brauchen in der Vorbereitung mehr Betreuung um mit dieser Herausforderung kreativ umgehen zu können und um Bühnenbilder zu entwerfen, die so nur in Grazer Schauspielhaus entstehen können.
6. Vision.
Schreiblabore für neue Theaterliteratur trifft man an jeder Ecke. Hier gilt es, das Grazer Raum-, Licht- und Videolabor zu eröffnen. Es muss geforscht werden über die Rolle des Bühnenbilds im zukünftigen Theater. Es müssen Fragen gestellt werden: Was macht die Kraft von Theaterbildern aus in Konkurrenz zur medialen Realität und den virtuellen Räumen der Games und Netze? Was muss ein Bühnenbild können, erzählen, darstellen? Wie kommuniziert es zwischen Schauspielern, Stück und dem Publikum? Muss es Widerstand leisten, ist es aus Gummi, aus Porzellan, ist es aufblasbar, besteht es nur aus Pfandmaterialien, ist es eine lebende Schafherde, ist es nur gemietet, ist es Wasser, Sand, Stein oder Staub, ja man kann Theaterstaub bestellen bei der Firma Pyrotech.at und im Budget die Reinigungskräfte mit einkalkulieren. Oder ist es eine reine Video- oder Lichtinstallation? Diese Fragen sind Möglichkeiten, die wir als Künstler erforschen sollten. Die neue Struktur dafür ist bereits geschaffen und der „Apparat“ des Theaters, besser der Kreativpool aus dem Künstlerischen Betriebsdirektor Albert Held, dem Technischen Direktor Christoph Steffen und dem Leiter der Beleuchtungs- und Videoabteilung Thomas Trumm, samt ihrer drei Abteilungen, kann diese Forschungsunternehmen bestens ermöglichen, wenn die Künstler es wollen.