Blaubart
Interviewtext aus dem Blaubart Programmheft
Ein Vier-Sparten-Projekt, bei dem alle darstellenden Formen gleichberechtigt nebeneinander stehen und von Anfang an konzeptionell parallel eingebunden waren – worin besteht der Reiz für eine solche „Überforderung“ aller Sinne?
Wenn man die Geschichte des Theaters anschaut, dann gehörten die sogenannten Sparten früher zusammen und haben sich erst im Laufe der Zeit auseinander entwickelt. Der Reiz eines solchen Projektes besteht für mich darin, die verschiedenen Theatermittel wieder als Einheit zu denken und eine Aufführung zu schaffen, in der gesungen, gesprochen, sich bewegt wird und in der Musik vorkommt. Eigentlich ist das das Normalste, nur nutzen wir oft die Mittel nicht. Wenn z.B. ein Schauspieler tanzt, oder Musik vom Band eingesetzt wird wie im Tanz oder im Schauspiel, dann sind das oft pragmatische Entscheidungen. Wenn man aber von vornherein sagt, alle Theatermittel sollen live vorkommen und von den dafür spezialisierten Menschen vorgebracht werden, so wird das als Projekt zwar komplizierter, aber die Herausforderung für uns ist eben, dass es ein Projekt ist. Ich kann zwar nicht spontan sagen, dass ich jetzt ein Orchester bräuchte, aber ich habe die Möglichkeit zu schauen, was jeder über seine Spezialisierung hinaus noch mitbringt.
Und worin liegen die Schwierigkeiten oder besser gesagt: die Herausforderungen?
Inhaltlich gibt es keine, aber das liegt vielleicht an meiner Biographie, weil ich in meinen Anfängen als Bühnenbildner in den 80er Jahren mit Forsythe und Heiner Goebbels gearbeitet habe. Wir haben gemeinsame Projekte entwickelt, in denen eben auch Tänzer gesprochen und gesungen haben oder die Komposition Teil des Prozesses war. Mir ist es wichtig, dass ich erst einmal bei den Proben das Talent der Darsteller auslote. Meine Neugier verleitet mich dazu, nicht Kategorien von einander abzuschotten, sondern immer zu fragen: Was könnt Ihr aus Eurem darstellerischen Talent heraus noch? Daraus ergeben sich dann manchmal ganz neue, überraschende Formen, und daneben ist mein Interesse einfach, Projekte gemeinsam zu erfinden und dramaturgische Blöcke assoziativ zu verbinden. Was mich beschäftigt, sind die Übergänge: Wie komme ich aus einem Sprechakt, in dem zentrale Inhalte des Stücks verhandelt werden, in den musikalischen Ausdruck? Wo sind Brüche, Schichten und wie gestalte ich Übergänge?
Max Frischs Blaubart gilt als sperriges Spätwerk, das von vielen seiner früheren, bekannteren Texte überschattet ist. Warum hast Du Dich ausgerechnet für diesen Text entschieden?
Mir war es wichtig, ein Fundament für die Sprache zu haben, die das Thema hält, sich aber assoziativ erweitern lässt. Der Roman bietet genau das, weil er eben auch mit einem Mythos arbeitet, und mythologische Stoffe haben am ehesten die Fähigkeit, wie Blumen aufzugehen und in verschiedene Richtungen zu blühen. Literatur erzählt meist eine Geschichte, aber wenn unbewusste Zustände hinzukommen, wie Ängste, dann sind für mich musikalische Formen naheliegend. Musik, Gesang und auch Tanz - Ausdrucksformen, die jenseits der Ratio und des Sprechens Zustände erlebbar machen. Und da stellt sich z.B. die Frage, welche musikalischen Assoziationen ich zum Thema Tod habe, und nicht umsonst haben wir am Ende religiöse Musik gewählt, die das Jenseitige thematisiert.
Wo siehst Du Ansätze für Postdramatik beim unserem „Blaubart“?
Postdramatik bedeutet für mich, sich nicht dem Druck zu ergeben, eine Geschichte linear zu erzählen, sondern sie auch im Verhältnis zu den dramatischen Mitteln zu untersuchen. Der eine kann sprechen, die andere singen, die dritte tanzen, und die Frage ist, ob auch die Geschichte tanzen und singen kann. Wir wissen ja, dass Geschichte nicht nur angebunden ist an Sprache und sich nicht nur linear erzählen lässt, aber das ist eben etwas, was im Bewusstsein vieler Leute noch nicht verankert ist. Deswegen bin ich auch so auf den Roman von Frisch angesprungen, denn der ist im besten Sinne postdramatisch.
Je mehr man bei der Lektüre des Blaubart über Dr. Schaad erfährt, desto verwirrender wird das Bild. Mit jedem neuen Puzzleteil wird das Gesamtbild nicht klarer, sondern eher um eine weitere Facette erweitert. Inwieweit kann die Musik eine solche Erzählweise unterstützen? Wie passt vor allem das grosse Orchestervorspiel genau in diese Dramaturgie des Erzählens von Max Frisch?
Am Anfang steht eine grosse Symphonie, in der in stummer Form Erinnerungen evoziert werden, in Form von Bilder- und Bewegungstheater. Frischs Text ist ja kein klassischer Roman, sondern arbeitet nur mit direkter Rede, dialogisch oder monologisch, und bildet strukturell einen Prozess ab. Gleichzeitig bezieht sich die Befragung, die da stattfindet, auf einen Mord, der aber auch nicht wirklich aufgelöst wird. Am Ende wird zwar behauptet, dass ein gewisser Nikos Grammatikos der Mörder sei, aber der Name ist so ironisch, dass man davon ausgehen kann, dass das eine falsche Behauptung ist: „der Sieg der Sprache“. Es gibt also die Leerstelle der toten Frau, und dieses Vorspiel ist eine Assoziationskette, die etwas über den Tod der Frau erzählt und alle Figuren, die wir später erleben werden, einführt. Das wird für den Zuschauer erst einmal Fragen aufwerfen, die sich dann aber durch die Befragung im zweiten Teil beantworten. Wir erzählen ein situatives, sich nicht verbal erklärendes Theater, das möglicherweise den Moment des Todes von Felix Schaad beschreibt. Und da ist die Musik eine unglaubliche Hilfe. Das ist jetzt vielleicht Herrn Schreker gegenüber respektlos, aber es ist wie ein filmmusikalischer Untergrund, der mich immer weiterträgt, der sich nicht verbal erklären muss und der eine ganz starke Atmosphäre erzeugt, auf der man frei assoziierend tanzen kann – körperlich und auch intellektuell als Zuschauer.
Wagners Wesendonck-Lieder sprechen von der Sehnsucht nach einer unerreichten Liebe, die scheinbar erst in anderen Welten realisiert werden kann. Wie kamst du auf die Idee, einer Toten, die ja sicherlich gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann nicht die besten Gefühle hegt, solche Worte in den Mund zu legen?
Die tote Frau, von der wir nicht wissen, wer sie umgebracht hat, schafft das Spannungsfeld, in dem wir die Unaufgeräumtheit, die Unerlöstheit des Mannes Felix Schad erleben, der so zerrissen ist, dass man sich fragen muss, ob er überhaupt liebesfähig ist. Die Idee war, die schönsten Liebeslieder, die man überhaupt singen kann, zu suchen, um so das Unglück dieses Mann zeigen zu können. Die Lieder sollen also nicht verdoppeln, sondern sind die Oberfläche, auf der das Defizit des Mannes gezeigt wird. Ich arbeite da mit einem mehrschichtigen Erzählprinzip: Der Zuschauer soll, wenn man es historisch sieht, mit der singenden Rosalinde in das Gefühl von Wagner und Mathilde Wesendonk hineingezogen werden, aber die Bilder, die er dazu sieht, zeigen ihm den Abgrund, der darunter liegt: die Frau, die nicht sterben will, dargestellt von der Tänzerin.
Die tote Rosalinde bedrängt Dr. Schaad als eine der zahlreichen ihn umgebenden Frauen immer wieder auf nonverbale Weise. Gegen Ende des Abends scheinen sich die Rosalinden weiter zu potenzieren und man könnte meinen, es münde in einer grossen Anklage oder gar Abrechnung. Doch lauscht man der Musik ist das Gegenteil der Fall …
Wir wollten mit dem Damenchor, den Solistinnen und der Tänzerin im identischen Kostüm der Rosalinde ein Bild für Felix Schaads Bewusstseinszustand schaffen. Diese tote Frau wird er nicht mehr los, sie ist überall. Er ist immer auf der Flucht, in allen seinen Ehen und er läuft auch vor dem Vorwurf des Mordes davon. Im ganzen Roman gibt es keine Selbstreflexion. Wird es schwierig, geht er wandern oder Billard spielen. Er ist 54 aber ein grosses Kind das im Kreis läuft. Die vervielfältigte tote Rosalinde ist eine Metapher für seine Probleme, die er nicht los wird. Die Schlussmusik kann man auch als Requiem für die Tote verstehen. Schaad flüchtet in den Selbstbetrug. Er will seinen Tod nicht wahrhaben. Der Abend endet "ohne Erlösung" typisch Max Frisch.
Wie definierst Du für Dich den Begriff Choreographie?
Auch ausserhalb des klassischen Balletts oder des Tanzes drückt jede Bewegung des Körpers etwas aus. Choreographie ist für mich nichts weiter, als dass man Verabredungen schafft, bei denen der Körper bestimmte Bewegungen im Raum und in der Zeit und in Bezug zu anderen Körpern, zum Raum und in der Zeit macht. Der Choreograph beschreibt von aussen, welche Bewegungen gemacht werden sollen, aber jeder Darsteller bringt natürlich ein Wissen von innen mit, das seinen Körper im Raum positioniert und bewegt. Meine Beobachtung ist, dass viele Schauspieler und Sänger im Gegensatz zu Tänzern relativ weniger Bewusstsein dafür haben, was ihr Körper in Bezug auf den Raum und zu den anderen Körpern im Raum macht. Jeder Muskel eines Tänzers, der sich bewegt, hat eine andere Führung, auch im Gesicht, und natürlich auch eine andere Kontrolle, durch das permanente Training.
Und wie verhält es sich mit Choreographie als Bewegen des Raumes?
Das ist meine Grunderfahrung als Bühnenbildner, meine Sozialisation im Theater mit Forsythe. Das Bühnenbild und die Objekte wurden immer untersucht im Verhältnis zum bewegten Körper. Für den Blaubart habe ich ein bewegtes Bühnenbild, eine begehbare vierstöckige Skulptur entworfen. Die Bühnentechnik kann dieses "Haus" 9 Meter auf und ab fahren, während Blaubart dort wie in einem Hamsterrad unterwegs ist.